Ich fühle mich an die Zeit der Kuba-Krise 1962 erinnert, als die Welt am Rande eines nuklearen Weltkrieges stand. Für uns schon etwas größere Kinder war die Gefahr des Krieges wahrscheinlich besonders schlimm, hatten wir doch Vorstellungen davon, wie schlimm der letzte Krieg gewesen war. Selbst hatten wir den Krieg nicht mehr erleben müssen, die Erzählungen davon waren für uns bedrohlich genug. Die letzten Angehörigen, u.a. mein Onkel Willi, waren erst vor wenigen Jahre aus der Kriegsgefangenschaft nach Hause gekommen und im vorigen Jahr war die Grenze zwischen Ost- und WestDeutschland geschlossen worden.
Heute, gerade heute am 11.04. spricht die Welt plötzlich wieder vom Krieg, die USA und Russland stehen sich waffenstarrend gegenüber, es scheint, als warteten beide Seiten nur darauf, auf den berühmten Roten Knopf drücken zu dürfen. Die Russen reden zumindest noch davon, dass die Vernunft siegen möge, was sie tun werden bleibt unklar. Die Amerikaner scheinen völlig von der Rolle, drohen mit ihren „neuen, schönen und intelligenten“ Raketen, wohl wissend, welche Gefahr sie damit auslösen. Macron zeigt sich willig sofort loszuschlagen, die Briten wenigstens zögern und die Bundesregierung sitzt es wie immer aus, ohne klar Stellung zu beziehen.
Die Kanzlerin läßt ein Bild mit Macron und Trump in der WELT Online veröffentlichen, über dem Beitrag eines Jaques Schuster, der mehr oder weniger verschämt von der Notwendigkeit „eines Waffengangs von Europäern und Amerikanern gegen Assad, Russen und den Iran faselt, so als handele es sich um ein Sandkastenspiel.
Was ist der Anlass? Angeblich geht es um einen angenommenen Giftgasanschlag in einer Stadt in der Nähe von Damaskus. Es kursieren Bilder von toten Frauen, verletzten Kindern, es wird von Chlorgas gesprochen, dass Assadtreue Truppen gegen Islamisten eingesetzt haben sollen. Die Russen sollen die Täter, von denen niemand weiß, wer sie wirklich sind, decken.
Die sich empört gebende westliche Welt überschlägt sich in Schuldzuweisungen und schleift die Schwerter, die Schreckensszenerien über die Geschehnisse in Syrien werden immer schlimmer. Furchtbare Bilder gehen um die Welt, folgt man ihnen, gibt es in Syrien nur noch Leichen, Verletzte, Ruinen.
Die Stadt, um die es aktuell geht heißt Duma, liegt wenige Kilometer vom Stadtzentrum von Damaskus entfernt, war bis heute eine der letzten Hochburgen extremistischer islamistischer Milizen in Syrien. Von Duma aus wurde das Zentrum von Damaskus beschossen, der Hauptstadt, in der über die Jahre des Krieges das Leben weiterging, als wäre nichts vorgefallen. Auf der anderen Seite wurde Duma in den letzten Monaten von allen Seiten zusammengeschossen, bis die Milizen kapitulierten. Den Milizen weine ich keine Träne nach, das Leid der Kinder und Frauen berührt mich, ich will es nicht mehr sehen. Die ganzen Dinge klingen für meine Ohren ungeheuerlich, surreal.
Alle Medien sind voll davon, die Schuldzuweisung sind klar, hier der ‚Schlächter Assad mit seinen russischen und persischen Helfern‘, dort die ‚armen Rebellen‘, auch wenn sie als schlimme Islamisten und Al-Kaida-nah eingeordnet werden. Ich kann und will nicht einordnen wer gut oder böse ist, in einem Krieg gibt es ein der Regel keine Guten, schon garnicht in einem seit Jahren immer erbitterter tobenden Bürgerkrieg, permanent angefacht und unterstützt durch eine kaum zu überblickende Zahl externer Interessen.
Die letzten Islamisten in Duma haben gestern aufgegeben, die Russen haben die Garantie für einen gewaltfreien Abzug übernommen. Seitdem rollen die Busse durch einen ‚humanitären Korridor‘, um den abzugswilligen Männern, Frauen und Kindern die Gelegenheit zu geben in den Norden Syriens auszuweichen.
Wen es interessiert findet unter http://webcams.org.ua/eng-live-mukhayyam.html seit gestern Live-Bilder vom Muhayam Al-Wafedin checkpoint, bereitgestellt vom Russischen Verteidigungsministerium.
Zugegeben, das Anschauen von Webcam-Bildern, noch dazu ohne Ton, ist keine künstlerische Freude, wenn man sich der Mühe unterzieht, ist aber sehr interessant.
Gestern und heute habe ich mir an die 2 Stunden Webcam live angetan.
Man sieht eine zerklüftete Ruinenlandschaft im Vordergrund, im Hintergrund Bäume, ich vermute in der Ferne die Silhouette einer Stadt, über der immer wieder Rauchschaden aufsteigen. Das Wetter ist ruhig, tagsüber Sonne, nachts ist die Szene durch Scheinwerfer beleuchtet. Eine Menge von Männern, die Zahl kann ich nicht annähernd feststellen, meist in Camouflage, einige davon bewaffnet, Kalaschnikows. Dazwischen wenige russische Soldaten, die an Uniform und der typischen Form der Stahlhelme gut zu erkennen sind.
Aus einer Richtung rollen mit kleinen Unterbrechungen Busse ins Bild, meist hochmoderne, bemerkenswert unbeschädigte und sichtbar gepflegte Fahrzeuge, dazwischen abenteuerliche Gefährte, die eher an einen Jeepney auf den Philippinen erinnern, als an einen langstreckentauglichen Bus.
In den beiden Stunden habe ich ungefähr 40 Busse gezählt, die ankamen, kurz inspiziert wurden und weiterfuhren.
Sie kommen an, werden eingewiesen, jeweils einige Männer mit einem oder zwei Russen im Hintergrund kommen ins Bild. Einige junge Männer klettern auf die Dächer der Fahrzeuge, die vollgepackt sind mit dem Gepäck der Abreisenden. Offenbar suchen sie nach versteckten Menschen und Waffen, solange ich zugesehen habe, wurden sie nicht in eine einzigen Fall fündig. Einige Bewaffnete begeben sich mit Papieren, offenbar Listen, in die Busse, sie scheinen durchzuzählen, sind nach wenigen Minuten fertig.
Die Bewaffneten wirken nicht bedrohlich, keiner hält seine Waffe im Anschlag, meist haben sie sie auf dem Rücken,
Nur selten steigen Businsassen aus, durch die Fenster sieht man, dass diese eher versteinert, ängstlich auf ihren Plätzen bleiben. Nach meiner Beobachtung wurde nicht ein Einziger aus den Bussen geholt. Ich gestehe, dass ich darauf gewartet habe, dass irgendetwas Spektakuläres passiert, da sich dort auf engstem Raum, zum Teil in den überfüllten Bussen mit direktem Körperkontakt Menschen begegnen, die vor wenigen Stunden noch ohne Bedenken übereinander hergefallen wären, sofern sie die Gelegenheit dazu gehabt hätten.
Eigentlich eine für den Zuschauer auf Dauer langweilige, weil sich immer wieder wiederholende Prozedur.
So richtig habe ich nur eine einzige Situation bildlich im Gedächtnis behalten. Einer der ersten Busse bunt bemalt, erkennbar alt und abgeklappert, hält vor drei Bewaffneten. Die sind angespannt, die Anspannung hat sich später sichtbar gelegt, nach Stunden wirken sie eher gelangweilt.
Zwei Bewaffnete steigen in den Bus, beginnen zu kontrollieren, vorher haben sie den Fahrer aussteigen lassen, er muss neben der Tür stehenbleiben und warten. Die Bewaffneten gehen durch die Reihen, nach ungefähr 5 Minuten sind sie fertig, steigen aus und hinter ihnen kommen mehrere Männer aus dem Bus. Sie mischen sich mit den Kontrollierenden, bleiben neben der Tür stehen, rauchen, unterhalten sich, ohne dass irgendetwas an der Situation bedrohlich wirkt. Zwei Männer gehen einige Schritte zur Seite, ein Bewaffneter und einer aus dem Bus, der auf ihn einredet. Nach wenigen Augenblicken zieht der ein Smartphone aus der Tasche und übergibt es ihm. Der Mann aus dem Bus entfernt sich mehrere Meter zur Seite, niemand hindert ihn daran, er tippt und führt ein Gespräch.
Nach einigen Minuten geht er zurück zum Bus, gibt das Smartphone mit einer Dankbarkeit ausdrückenden Geste zurück, flüchtig umarmt er den Bewaffneten und springt in den Bus, der sich schon im Anfahren, schaukelnd aus dem Bild bewegt.
Danach versuche ich noch irgend etwas Spektakuläres in der Begegnung der ’Todfeinde’ zu sehen, es bleiben langweilige Bilder einer sich Minute für Minute wiederholenden, friedlichen Prozedur.
Ich frage mich, ob sich diese Menschen auch gegenseitig massakrieren würden, wenn sie nicht ‚von außen‘ dazu ermutigt würden, wenn sie nicht irgendwer ständig mit Geld, Waffen, Lebensmitteln, Medikamenten versorgen würde? Krieg führen ist teuer, sehr teuer? Wer rüstet die einzelnen kämpfenden Gruppen und Grüppchen auf? Wer hat kein Interesse daran, dass diese Menschen endlich wieder zu Frieden und einem normalen Leben zurückfinden?
Es sind keine Monster, weder die in, noch die vor den Bussen.
Die Monster sitzen irgendwo anders, zumindest nicht in und vor den Bussen am Muhayam Al-Wafedin Checkpoint.
Und wofür erwägt der Westen nun mit wehenden Fahnen in Syrien in den Krieg zu ziehen?
Die Geste mit dem Smartphone am Checkpoint hat meinen letzten Zweifel beseitigt. Ich ergreife keine Partei für irgendeine der kriegführenden Parteien, allein wichtig ist es Frieden zu ermöglichen.
Aber Jaques Schuster zumindest faselt in WELT von der Notwendigkeit „eines Waffengangs von Europäern und Amerikanern gegen Assad, Russen und den Iran“.
In wessen Name spricht er, nicht in meinem. Auch Schuster nennt keine Namen, warum nicht?
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