Ein normaler Tag, ein ganz normaler Tag, wir sind zu Hause, Stephanie ist da, gerade haben wir zu Mittag gegessen. Ganz normal, Pilze, selbstgesucht, gestern in dem nahen, still gewordenen Wald, dazu Kartoffeln, Rührei, natürlich alles biologisch einwandfrei.
Gern gehe ich in den Wald, ich nenne ihn schon meinen Wald, gleich hinter dem Haus beginnt der Hohlweg, Mischwald an den Hängen zu beiden Seiten. Jeden Meter kenne ich nach den mehr als 20 Jahren, die wir hier leben, jeden Baum, jeden alten abgestorbenen Stumpf. Auf halbem Weg liegt rechts ein alter, zerfledderter Schuh aus Kunststoff, er trotz der Natur schon seit fast 20 Jahren. Altes Holz zerfällt, ein Bierdeckel liegt auch schon seit Jahren am Rand, langsam verblaßt die Erdinger-Schrift auf ihm. An den Rändern liegen auch mehrere Glasscherben, regelmäßig schiebe ich sie zur Seite, drücke sie mit dem Fuß in den weichen Erdboden, bedecke sie mit altem Laub, nur um sie einige Tage später doch wieder zu erblicken. Die Natur spuckt sie einfach immer wieder aus.
In jedem jungen Frühjahr, wie sich aus den heruntergefallenen Eicheln des Vorjahres kleine Keime bilden, dicht gesät, über den gesamten Weg, die Keimblätter und über das Jahr zarte Triebe, die im Herbst dann so um die 15 bis 20 Zentimeter groß sind.
Im Herbst werden sie bedeckt durch altes, abgestorbenes Laub, dazwischen die neuen, gerade gefallenen Eicheln und das ewige Spiel der Natur bereitet sich auf das nächste Frühjahr und die neuen Triebe vor.
Wenn die neuen Triebe kommen, bedecken sie wie ein zartgrüner Flaum den gesamten Boden, zarte grüne Triebe zwischen altem abgestorbenen Laub und es dauert immer einige Wochen, bis sich das Grün schon rein optisch gegen das Grau durchsetzen kann.
Der Weg in den eigentlichen Wald führt mich zwangsläufig durch den Hohlweg und eigentlich ist es unmöglich mit meinen Füßen den vielen grünen Trieben, die jeweils nur wenige Zentimeter auseinander stehen, auszuweichen. Die ersten Meter versuche ich meine Füße so zu setzen, dass ich auf möglichst wenige Triebe trete, meine Füße auf dem alten Grau und nicht auf dem frischen Grün zu stehen kommen.
Das frische Grün will ich nicht verletzen, auf das Grau, das Vergehende zu treten ist mir weniger schmerzlich, auch wenn ich mit zunehmendem Alter das Grau mehr achte.
Nach einigen Metern merke ich, dass mir dies nicht gelingt und ich werde weniger aufmerksam, habe dabei ein schmerzhaftes Gefühl, so als spüre ich selbst meine Tritte.
Immer bleiben trotz aller Mühe geknickte Triebe und wenn ich zurück sehe, sehe ich meine Fußabdrücke in dem hellgrünen zarten Teppich.
Meist komme ich eine Stunde später zurück, der Hohlweg führt bergab, wird immer enger und schon von Weitem achte ich auf den von oben noch dichter wirkenden grünen Flaum.
Jetzt wähle ich einen Weg am Rand, schon am Hang und vermeide jeden Tritt in das aufstrebende Waldleben. Fast schamhaft versuche ich meine Spuren von vorhin zu sehen, was mir oft nicht gelingt, da die Meisten der Geknickten sich schon wieder aufgerichtet haben, manchmal etwas krumm, manchmal in dem weichen Waldboden etwas verschoben, aber sie stehen schon wieder, um weiter nach oben zu streben, wenn sie Glück haben werden sie bald das Licht erreichen.
Viele der jungen Triebe werden in der nächsten Zeit eingehen, andere sich so zögerlich entwickeln, dass sie kaum die Chance haben ganz nach oben zu kommen und das dichte, oft undurchdringliche Unterholz bilden. Nur wenige werden so groß und stark werden, dass sie das hoch oben stehende Blätterdach der alten, etablierten Bäume durchbrechen können und selbst ein Teil davon werden.
Junges Leben ist frisch, junges Leben ist elastisch und man muss sich schon viel Mühe geben, um es so zu verbiegen, dass es nicht mehr seinen Weg finden kann. Limitieren wird es sich selbst.
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