Um den 3. Oktober jeden Jahres überschlagen sich die Medien in der Darstellung der Ergebnisse der Deutschen Einheit, Politiker sprechen mit tränenreichen Blicken und feuchten Unterhosen, junge Menschen, die vor rund 30 Jahren gerade geboren waren oder auch noch nicht, erklären mir, wie Deutschlands Osten damals war und heute sei. Man redet pausenlos von Haltungen zeigen, Werte hochhalten und setzt schier ununterbrochen irgendwelche Zeichen für oder gegen Irgendjemand, je nach aktuellem persönlichen Bedarf und was so gerade opportun ist.
Alles in allem ein Panoptikum sondergleichen und ohne jegliche historische Erfahrung. Wenn es nicht so traurig wäre, gäbe es Grund genug zu lachen. So geht die ganze Feierlichkeit unbeachtet an mir vorbei und es bleibt lediglich ein äußerst schaler Beigeschmack, der sich gelegentlich in reinen Zorn steigert.
Seit Jahren erlebe ich ein Bashing der WestDeutschen gegen die Menschen im Osten, das Gejammer der Wessis gegen die Ossis geht mir - mit Verlaub- gewaltig auf den Sack.
Worüber sprechen wir eigentlich?
Eine Schar von Menschen, deren einziger 'Vorzug' darin besteht, zufällig im Westen Deutschlands geboren zu sein, sieht sich berufen über die Ossis zu richten, sie zu bewerten, sie nach Belieben verbal und nonverbal zu bestrafen.
Die größte historische Leistung der letzten 50 Jahre in Deutschland haben die Ossis vollbracht.
Ich erinnere mich zum Beispiel an den 8. Oktober 1989 in den schon dunklen Straßen Leipzigs. Wir sind damals auf die Straße gegangen, weil wir eine andere DDR wollten, die Chance unser Leben selbst zu bestimmen, nicht abhängig zu sein von einer anonymen Staatsmacht, die uns als unmündige Kinder behandelte, uns 'Haltungen und Werte' aufzwingen wollte.
Keiner der damaligen 'Aktivisten' dachte und wollte primär eine Vereinnahmung durch die Bundesrepublik. Ja, und wir waren damals naiv und merkten erst zu spät, wie man uns wieder das Fell über die Ohren zog.
Die Ost-Basher stellen sich jetzt bitte einmal vor, sie gehen abends durch dunkle Straßen in Leipzig, die Straßenbeleuchtung ist durch die Staatsmacht abgestellt. Treffpunkt ist der Raum um die Nikolaikirche. Da man in der Stadt nicht parken darf, sind wir schon rund 2 Kilometer Richtung Zentrum gelaufen, durch Straßen, in denen scheinbar endlose Schlangen von Mannschaftswagen von Polizei und Armee stehen, man sieht die Uniformierten darauf, die sich gespenstisch ruhig verhalten.
Je näher man dem Zentrum kommt, sind die Uniformierten von ihren Fahrzeugen abgesessen, stehen mit Waffen, Ausrüstung und Helm in Gruppen in den Nebenstraßen und versuchen allein durch ihre Präsenz die Menschen abzuhalten weiter zu gehen.
In den unbeleuchteten Gebäuden um die Nikolaikirche sieht man hinter den Scheiben viele Gestalten, Gesichter, Fotoapparate, die die Menschen auf der Straße im Visier haben.
Einige hundert Menschen stehen mit uns um die Kirche, drin läuft ein Gottesdienst, der mich nicht interessiert. Es ist nicht mein Anliegen eine selbsternannte moralische Instanz gegen eine imaginäre andere zu tauschen.
Als die Menschen später nach draußen kommen, formiert sich ohne Worte ein noch vorsichtiger Demonstrationszug, der sich in der nächsten Stunde durch die weiterhin dunkle Leipziger Innenstadt bewegen wird.
Die Seitenstraßen sind jeweils abgeriegelt durch Uniformierte, die in drohender Haltung versuchen uns zu verdeutlichen: "Ihr seid de facto schon eingesperrt."
Keiner der Demonstranten läßt sich zu einer gewalttätigen Geste hinreissen, die Uniformierten bleiben untätig. Noch heute habe ich die Sprechchöre im Ohr, wenn Gruppen von Demonstranten vor den Bewaffneten stehenblieben und skandierten:"Schämt euch was!" Das oft kolportierte 'Wir-sind-das-Volk' wurde erst später modern, nämlich dann als auch die auf den Straßen erschienen, die zu Hause hinter der geschlossenen Gardine 'abgewartet' hatten bis es nicht mehr gefährlich war. Dazu zählte nach eigenem Bekunden auch unsere heutige Kanzlerin.
Erst später wird man erfahren, dass wir an diesem Abend nur durch einen Zufall den Kugeln entgangen sind, es gab einen Schießbefehl, nur niemand der anwesenden Funktionäre wagte sich ihn in Kraft setzen.
Später wurde durch die vorschnelle Wiedervereinigung vielen Menschen die wirtschaftliche Lebensgrundlage entzogen. Kaum ein OstDeutscher hatte solch nennenswerte Ersparnisse, dass der DM-Umtausch ihm einen sicheren Start in die neue Republik ermöglicht hätte.
Über Jahrzehnte bestehende Lebensleistungen hatten plötzlich keinen Wert mehr.
Eine persönliche Erfahrung: Als ich in 1991 ein Unternehmen im Medizinsektor gründen wollte, sagte mir der verantwortliche Minister der Thüringer Landesregierung: "Es ist politisch nicht gewollt, dass OstDeutsche das selbst tun." Und damit war mein Traum mit einem einzigen Satz zerplatzt.
Wenig später wurde die Medizinische Einrichtung, die wir jahrelang geführt und über die Wirren der Wende gerettet hatten, 'für einen Appel und ein Ei an eine WestGesellschaft verhökert', deren Aufsichtsrat 'oh Wunder und zufälligerweise' der Enkel eines noch heute hochgeschätzten Bundespräsidenten war. Das sich später die Staatsanwaltschaft für diesen Deal interessierte, tat nichts mehr zur Sache.
Ich habe mein ganzes Berufsleben ohne einen einzigen Tag Transferleistungen zu beziehen geschafft, gearbeitet, meinen materiellen und intellektuellen Beitrag geleistet.
Nicht mehr bereit bin ich, mir täglich über die Medien erklären zu lassen, wie undankbar die Ossis wären, dass sie ohne Deutschland West noch heute im Mittelalter darben würden, dass Thüringer und Sachsen braun und unfähig wären.
Bei meinem ersten Besuch in Österreich 1990 habe ich mich gewundert, wie wenig angesehen die 'Piefkes' dort waren. Inzwischen habe ich den Grund verstanden, es geht um Haltungen und Werte.
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