Anfang 1945 waren sie aufgebrochen, dort in ihrem Wohn- und Geburtsdorf in Polen, Friedrich der Sohn war noch für Führer, Volk und Vaterland im Felde.
Zu Hause, in ihren vier Wänden hatten sie nur deutsch gesprochen auf dem Gut des polnischen Pan war es selbstverständlich, dass man so sprach wie man es konnte, also polnisch oder deutsch.
Der Vater war auf dem Gut als Kutscher beschäftigt. Kutscher zu sein bedeutete damals Tag und Nacht verfügbar zu bleiben. Wenn nicht der Pan unmittelbar seine Dienste brauchte, mußte er sich um die Pferde kümmern, die Ställe in Ordnung halten, die Koppeln pflegen, das Zaumzeug, die Wagen, praktisch alles rund ums Pferd.
Geregelte Arbeitszeiten gab es nicht, der Sonntag war frei, sofern der Pan nicht den Wagen zur Fahrt in die Kirche im Nachbarort benötigte, dann machte sich die Familie zu Fuß auf den Weg, denn beim Pan mitzufahren, unmöglich, allein die Frage danach wäre ein Sakrileg gewesen. So kam es durchaus vor, das selbst bei übelstem Wetter die eigene Familie zu Fuß stapfte und vom Vater mit dem Pan im Wagen überholt, bei großer Nässe auch schon mal auf den unbefestigten Wegen mit Schlamm bespritzt wurde. Kein Advokat hätte damals eine Schadenersatzklage auch nur ins Auge gefaßt.
Klar war die Stellung zueinander: Die Familie des Kutschers, wie alle anderen Bediensteten, hatten den Pan mit "Gnädiger Herr", seine Frau mit "Gnädige Frau" anzusprechen. Die Attribute erübrigten sich umgekehrt.
Klar war die Stellung zueinander: Die Familie des Kutschers, wie alle anderen Bediensteten, hatten den Pan mit "Gnädiger Herr", seine Frau mit "Gnädige Frau" anzusprechen. Die Attribute erübrigten sich umgekehrt.
Die Entlohnung seiner Leistung gestaltete sich relativ simpel. Der Lohn in Geldform war minimal und lediglich so bemessen, dass die notwendigsten Dinge damit bezahlt werden konnten. Zu den notwendigsten Dingen gehört dabei nicht die vollständige Versorgung mit Lebensmitteln. Der Pan dachte weiter und um seinen Bediensteten eine biologisch exakte Ernährung zu ermöglichen erhielt jeder der in Gutsnähe wohnenden Bediensteten ein kleines Stück Land zur eigenen Nutzung. Nicht viel größer als heute ein Schrebergarten mußte dort fast alles angebaut werden, was die 5köpfige Familie an Lebensmitteln brauchte.
Zur Familie gehörten seine Frau, die beim Pan in der Küche arbeitete, dazu Friedrich, der auf seiner Geburtsurkunde den polnischen Namen Fryderyk stehen hatte und seine beiden älteren Schwestern.
Friedrich und seine Schwestern besuchten die polnische Volksschule, der Unterricht erfolgte in polnisch, den Weg zur Schule legten sie jeden Tag per Fuß zurück, kein Problem, es waren lediglich 6 Kilometer bis in den Nachbarort.
Friedrich hatte als Sohn Glück, er durfte eine Lehre beginnen, als Kaufmann in einem Nachbarort in einer Gemischtwarenhandlung. Heute würde man es vom Sortiment her Supermarkt nennen, nur war es viel kleiner und man wurde noch richtig individuell und vor allem freundlich bedient.
Das karge Leben umschreibt Friedrich heute mit der wohltuenden Bemerkung: "Wir hatten fast nichts, aber wir waren zufrieden."
Der Krieg begann, Fryderyk wurde mit 17 Jahren als Friedrich zur deutschen Wehrmacht einberufen, als Volksdeutscher hatte er natürlich unmittelbaren Zugriff auf die Chance sehr früh für's Vaterland sein Leben beim Kommiss abzuliefern.
In undankbarer Weise nutzte er diese Chance nicht, mit 19 Jahren kam er in russische Gefangenschaft, erinnerte sich rechtzeitig wieder an seinen polnischen Namen Fryderyk und überstand damit eine kurze Phase der Gefangenschaft, diesmal als geborener Pole, schadlos.
"Vom Russen" unbeschadet entlassen machte er sich auf die Suche nach seiner Familie. In seinem polnischen Heimatort fand er auf dem Gut den Pan noch vor, dieser hatte mit Kriegsende die Pferde gewechselt und war schon nach wenigen Tagen für die neue Macht politisch aktiv geworden. Der Pan fuhr nun mit einem russischen Kübelwagen GAZ 67 durch die Gegend, einen Kutscher brauchte er nicht mehr. Friedrichs Familie war weg, Richtung Deutschland auf der Flucht.
Wie durch ein Wunder und mit viel fremder Hilfe gelang es ihm über verschiedene Stationen nach Thüringen zu kommen und fand dort seine Familie in einem kleinen Dorf wieder, einquartiert auf einem Bauernhof. Aus heutiger Sicht eine unvorstellbare Leistung.
Alle Familienmitglieder hatten bis dahin unversehrt die Wirren des Krieges, der Gefangenschaft und der Flucht überstanden.
Friedrich, alias Fryderyk, fasst heute seine damaligen Erfahrungen kurz zusammen: "Ich habe in der Zeit nur gute Menschen kennengelernt. Ich kann weder über die Russen noch die Polen etwas Schlechtes sagen."
Friedrich, alias Fryderyk, darf dies im Deutschland des Jahres 2016 sagen, er ist rund 90 Jahre alt!
Ungern spricht er dagegen über seine Erfahrungen mit den Deutschen nachdem er als ausgehungerter Fremder auf dem Bauernhof auftauchte, dem seine Familie zugewiesen worden war. Die Erfahrungen waren so negativ, dass seine Schwestern bis zu ihrem Tod ihre volksdeutsche Herkunft aus Polen verschwiegen und ihren Geburtsort lieber in deutsche Gefilde verlegten.
Ursache waren die Angst und vielleicht auch die Erfahrungen, ansonsten als Polack verschrien zu werden.
Nicht selten galten damals die Vertriebenen als Kuckuck, der sich ins gemachte Nest setzt.
Es berührt mich seltsam, dass ich noch heute einen Reim aus meiner Nachkriegskindheit erinnere, der das Verhältnis der Ur-Deutschen zu den Flüchtlingen sehr drastisch und abwertend beschreibt:
"Ich komme aus dem Osten und suche einen Posten,
meine Papiere sind alle verbrannt und Hitler habe ich nie gekannt."
Und damit hat sich der Kreis geschlossen, wie sich die Bilder doch gleichen!
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