Freitagnachmittag in Bad Nauheim, ein sehr ruhiger Sonnentag, in den großen alten
Parks des früher mondänen, jetzt etwas verstaubt wirkenden Kurorts,
sind tausende Menschen unterwegs.
Früher,
so hört man, waren hier Kaiser, Könige und Zaren zu Gange, promenierten, flanierten und defilierten um die Wette. Eng
verbunden ist die Stadt mit dem Namen Otto von Bismarcks und Elvis
Presley als der „King“ hat hier eine Stele erhalten, nachdem er
offenbar in recht beschaulicher Atmosphäre seine Wehrdienst
abgeleistet hatte.
Bis
heute ist Bad Nauheim geprägt von der Medizin, die nicht mehr „Kur“
genannt wird, sondern Medizinische Rehabilitation.
Wir
sitzen in einem Gartencafe in der Nähe des Pumpwerks der
Gradieranlagen.
Neben
uns ein Tisch, besetzt mit vier durchaus stattlichen Menschen, 3
Damen, ein Herr, alle so in den Fünfzigern und geschätzt nicht
unter 2 Zentnern Lebensgewicht, wohlgemerkt jeder um und über 100
Kilogramm, nicht etwa zusammen.
Der
Tisch gut gefüllt, große Tassen mit Milchkaffee, der Herr mit einem
großen Bier, dazwischen Kuchen- und Essensreste, das heißt, die Reste sind auf
den Tellern nur noch in winzigen Spuren zu vermuten, sie wirken
ansonsten blank, so als ob unser Hund seinen Napf akribisch blank
geleckt hat.
Von
der Seite sehe ich, dass der Mann bereits seinen Gürtel, hier passt
besser der Ausdruck „Leibriemen“, geöffnet hat. Wahrscheinlich,
damit es besser nachrutscht.
Die
Kellnerin hat mit dem Tisch gut zu tun, hinräumen, wegräumen im Takt.
Das
Gespräch dreht sich um die Rehabilitation in der Diabetes-Klinik.
Wir
hören über Ernährung, über Blutwerte, über Sport, den man
tunlichst vermeiden soll. Das Thema Gewicht bleibt vernünftigerweise
ausgeklammert.
Der
Hauptinhalt des Erfahrungsaustauschs dreht sich allerdings um die
Vermeidung, die Vermeidung all dessen, was die Ärzte und Therapeuten
der RehaKlinik für die korpulenten Menschen als sinnvoll erachten.
„In
der Klinik ist Rauchverbot“ hören wir, der Ascher auf dem Tisch
der vier Rehabilitaten ist gut gefüllt.
Kurz
bevor die Gruppe aufbricht, wird die Strategie für die nächsten
Tage festgelegt.
Wir
lernen, dass immer montags in der Klinik die „Blutwerte“
kontrolliert werden.
Man
verabredet sich am Samstagabend wieder gemeinsam auszugehen, dabei kann man "nochmal richtig zuschlagen", dann wird es ernst. Sonntag
„normales“ Frühstück, ein „vernünftiges“ Mittagessen,
nachmittags kein Kuchen, das Abendessen reduziert, „später kein
Bier mehr“...
Und
Montag "stimmen dann die Blutwerte“ und danach „kann man wieder normal
weiterleben“.
Alle
Vier lachen sehr laut und zufrieden, bezahlen, sie legen zusammen und rüsten sich zum Gehen.
Als
sie aufstehen greift der stattliche Herr unter sein nach vorn weit abstehendes
T-Shirt, packt mit einer geschmeidigen Bewegung seinen breiten
Leibriemen und zieht ihn unter lautem Stöhnen und einer drehenden
Bewegung des Oberkörpers fest zusammen, nicht ohne sich danach mit
der flachen Hand auf den dicken, hängenden Bauch zu schlagen. Es
klatscht hörbar.
Die
Damen lachen laut und schallend, sie hauen sich nicht auf ihre
Pfunde, wahrscheinlich weil sie sich nicht nur im Bauch gesammelt,
sondern rundum gleichmäßig und rücksichtslos verteilt haben. Wohin sollten sie schlagen, damit
es auch richtig klatscht?
Medizinische
Rehabilitation, nicht mehr banal Kur genannt, in Bad Nauheim in 2016.
Und das Beste dabei: alles auf Kosten von Krankenkasse oder Rentenversicherung.
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