Bad
Nauheim am Samstagabend.
Samstagabend
gehen wir gern mal Essen, auch in Bad Nauheim.
Trotzdem
sich der Ort um Tradition bemüht, hat der Fortschritt selbst um die
Gastronomie in Bad Nauheim keinen Bogen gemacht.
Mindestens
jedes zweite Lokal, Cafè oder Bistro lässt unzweideutig einen
Migrationshintergrund der Betreiber vermuten.
Wir
entscheiden uns für das Da Capo von Alessandro Capo in der
Stresemannstraße. Eine gute Mischung aus Moderne und Tradition.
Das
Restaurant hat Alessandro Capo gerade von seinem Vater übernommen, restauriert, ausgesprochen
geschmackvoll, gute Küche, freundliche Bedienung und – last but
not least – moderate Preise, was ja in Anbetracht einer
durchschnittlich 4 – 5 wöchigen Reha für die Rehabilitanten im Ort nicht
unerheblich ist. Ein zu tiefer Einschnitt ins (Familien-)Konto durch
die Reha würde wahrscheinlich zu Hause auffallen und das Mitleid der
daheim Gebliebenen für den armen Kranken in Frage stellen.
An
dem milden und nicht zu heißen Samstagabend entscheiden wir uns für
einen Tisch draußen auf der Straße.
Der
Nebentisch ist kurz frei, dann lässt sich ein Paar dort nieder.
Beide
sehr lässig, aber korrekt gekleidet, sie um die 40, er
schätzungsweise 10 Jahre älter. Er gibt sich sehr aufmerksam,
unterlässt es allerdings ihr den Stuhl zu richten und obwohl er
fragt, auf welcher Seite des Tisches sie sitzen mag, sitzt er
deutlich schneller als sie. Keine gute alte Schule.
Beide rücken sehr eng an den Tisch heran, beugen
sich über den Tisch entgegen.
Auf
jedem Tisch eine kleine Vase mit einer roten Rose, Kunststoff, aber
täuschend echt aussehend. Nur durch die Haptik können wir
feststellen, dass es ‚Kunst‘ ist. Der Herr am Nebentisch reicht
der Dame mit großer Geste die Rose, sie greift zu und nach
einer kurzen Bemerkung lachen beide.
In
den nächsten Minuten entwickelt sich ein angeregtes Gespräch, dem
wir entnehmen, dass beide zur Reha in Bad Nauheim sind. Dabei kommen
sie sich über dem Tisch immer näher, er sehr nachdrücklich auf sie
einredend, sie mit Nähe und Zurücklehnen koketierend. Weniger
zurückhaltend sind unter dem Tisch die Beine, die sehr schnell
zueinander finden und sich ineinander verhaken.
Sie
bestellen, sie bekommt Wein, er ein Weizenbier.
Es
dauert einige Minuten bis der im Da Capo obligate Brotkorb kommt und
sie es zulässt, dass er ‚rein zufällig‘ ihre Hand zu greifen
bekommt. Er hält sie krampfhaft fest, weit über den Tisch gebeugt.
Eigentlich tut mir der arme Kerl leid, wie unbequem er sitzen muss,
um sich so weit vorbeugen zu können, während sie ganz entspannt
sitzt.
Allerdings,
auch er kann nicht alles haben, während er oben ihre Hand hält,
sind unter dem Tisch seine Beine zu kurz, er muss ihren Fuß ziehen
lassen.
Das
Gespräch sehr gegensätzlich, sie spricht über die Reha, er
versucht zu balzen. Langsam, ganz langsam nur lässt sie es zu, dass
das Gespräch auf private Dinge kommt, bei ihr überwiegt das ‚ich‘,
bei ihm der Versuch ein ‚wir‘ ins Spiel zu bringen. „Was wollen
wir morgen machen?“ „Ich weiß noch nicht, wozu ich morgen Lust
habe.“
Als
Mann wird mir schnell klar, dass es ihr primär ums Essen geht und er
das Essen als notwendigen Umweg zu seinem eigentlichen Ziel des Tages
in Kauf nimmt.
Je
mehr sie ihn auf Distanz hält, desto nachdrücklicher predigt er auf
sie ein. Schadenfreude überfällt mich, ich vermute, er müsste vor lauter Eifer
gleich anfangen zu sabbern, er tut es zu meiner Enttäuschung nicht.
Sie
arbeiten sich durch ihre Bestellung. Zuerst eine Portion 'Sardelle
fritte', er bestellt zwei Teller dazu und vertilgt die Sardellen
allein. Danach für sie Salat, für ihn Pasta. Sie genießt das
Essen, kommentiert es, er schaufelt.
Danach übernimmt er im
Gespräch langsam das Kommando, versucht sich seinem eigentlichen Ziel zu nähern, irgendwie erscheint sie langsam sturmreif.
Beim
abschließenden Espresso klingelt ihr Smartphone. Er sieht genervt
auf, sie blickt aufs Display, zuckt mit den Schultern, „Mein Mann“,
steht auf und geht einige Schritte zur Seite.
Als
sie zurückkommt hat er schon bezahlt, nur ein ganz kleines Trinkgeld
gegeben.
„Mein
Mann kommt mich morgen besuchen...“. Seine Frage, 'was wir morgen unternehmen wollen', ist final geklärt.
Sie stehen auf und gehen, er die ersten Schritte etwas steif, wahrscheinlich hat er sich beim Vorbeugen den Rücken verzerrt.
Wir schauen hinterher und ich habe das Gefühl, ich sollte Alessandro Capo den Rat geben in die Zweiertische jeweils Nischen einarbeiten zu lassen, damit man sich beim Balzen nicht so unbequem nach vorn beugen muss.
Ich tue es nicht, weil auch wir gehen.
Medizinische Rehabilitation, nicht mehr banal Kur genannt, in Bad Nauheim in 2016.
Und das Beste dabei: alles auf Kosten von Krankenkasse oder Rentenversicherung.
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