Bad Nauheim am Samstagmittag.
Wir haben uns mehrere Kilometer beschauliche Wanderung durch die Parks des Ortes gegönnt. Zum Glück lässt die Größe der Parks dies zu, ins Umfeld des Städtchens zu laufen wäre ansonsten der pure Masochismus.
Einkehren am "Teichhaus", einer gut frequentierten Gaststätte am "Großen Teich", sehr bevorzugt gelegen unmittelbar neben dem gepflegten Golfplatz und der Eishalle, der Heimstatt der "Roten Teufel" des EC Bad Nauheim.
Es gibt draußen nur noch einen freien Tisch, alle anderen sind reichlich gefüllt, aber weder Golfer noch Eishockey Cracks, sondern "Rehabilitanten" jeden Alters bevölkern das Lokal.
Wir platzieren uns am einzigen freien Tisch, am Übergang zum Raucherbereich.
Unmittelbar neben uns der erste Rauchertisch, besetzt mit 5 Menschen, irgendwo zwischen 40 und 50 Jahren, zwei Damen, drei Herren.
Alle rauchen, auf dem Tisch neben 2 Aschenbechern, große Biergläser, die Damen stilvoller mit Wein versorgt, der Kellner hat gut zu tun, die Luft an diesem Nachmittag ist schließlich warm und trocken.
Gegen 13.00 Uhr kann man davon ausgehen, dass das reguläre Mittagessen in der Rehaklinik, nur wenige hundert Meter entfernt, eingenommen wurde, zumindest ist am Nebentisch die Rede davon, dass das "heute mal wieder gar nichts gewesen sei, also müsse man sich selbst verpflegen". Alle lachen zustimmend.
Eine der Damen klammert sich mit hochrotem Gesicht und schrillem Lachen an ihrem Nebenmann fest, der erkennbar nicht ihr Ehemann ist. Dem ist dies nicht direkt angenehm, nicht weil er ihre Nähe nicht mag, er lächelt ihr sogar wohlwollend zu und lässt sich von den Anderen zustimmend bewundern. Es ist ihm nicht so ganz recht, weil sie rechts von ihm sitzt und sich an seinem rechten Arm festklammert. Und als Rechtshänder mit der linken Hand ein großes Bierglas zu leeren ist nicht so ganz einfach.
Zwei Männer stehen auf, gehen etwas staksig nach entsprechend bildlich erklärendem Kommentar in Richtung der Toilette, die Damen lachen hinterher.
Das Gespräch dreht sich um die unmittelbar bevorstehende Entlassung aus der Rehabilitationsklinik.
Alle Fünf wirken rein äußerlich körperlich fit, kernig, aber nicht exzessiv übergewichtig. Nach Stimmung und Körperbau "guter deutscher Durchschnitt". Keiner hat eine Gehhilfe dabei, keiner einen Rollator, die Atmung funktioniert gut, zumindest rauchen alle fünf ohne dabei Atemnot oder Hustenreiz zu bekommen. Die Herzfunktion scheint zumindest grob in Ordnung zu sein, die sommerliche Bekleidung lässt einen Blick auf die Füsse zu und bei keinem sind sie angeschwollen. Die Fröhlichkeit der Runde lässt keinen Verdacht aufkommen, dass eventuell eine Depression die psychische Leistungsfähigkeit arg einschränken könnte.
Ganz anders die Rede, der wir ohne Mühe ob der alkoholforcierten Lautstärke gut folgen können.
Die Rede geht um Rente!
Man tauscht sich aus, wie man in der kommenden Woche entlassen werden soll, ob arbeitsfähig oder eben bedauerlicherweise nicht.
Die schiere Empörung wird spürbar, als übereinstimmend beklagt werden muss, dass alle 5 arbeitsfähig entlassen werden sollen. Nichts anderes hätte man als Außenstehender an Hand des selbstsicheren und uneingeschränkten Auftretens der 5 erwartet. Es wird geklagt, geschimpft, die Stimmen werden dabei eindringlicher und aggressiver, zwischendurch bringt Pavel, der freundliche Kellner eine neue Runde. Bier in großen Gläsern und Wein für die Damen. Einer der Männer "muss mal neue Zigaretten holen gehen".
Das deprimierende Fazit:
Mit der Rente wird es wohl Nichts oder wieder Nichts. Für zwei der Kneipengäste, im richtigen Leben Rehabilitanten genannt, ist es offenbar schon der "zweite Versuch". Ein kleines Mass an Selbstkritik klingt an, als eine der Damen über "die Show" berichtet, die sie dem Oberarzt gegeben hätte, "ich war scheinbar nicht gut genug". Ihre Zimmernachbarin hätte es besser hinbekommen, "die kriegt ihre Rente". Es klingt wie eine persönliche Entschuldigung: "Na ja, sie ist ja auch jünger."
Die Stimmen werden noch lauter und nachdrücklicher als man darüber spekuliert, dass "die Klinik wohl eine Auflage hätte, dass möglichste alle arbeitsfähig entlassen werden müssen".
Nach rund einer Stunde beenden wir unsere Pause nach Kaffee und einem Pflaumenkuchen. Als wir aufbrechen, wird am Nebentisch immer noch lebhaft diskutiert.
Pavel bringt dem Nebentisch regelmäßig und unaufgefordert "neue Runden", wechselt sehr aufmerksam auch die Aschenbecher. Sobald er neue Gläser bringt, nicken die Männer ihm huldvoll und gut gelaunt zu.
https://en.wikipedia.org/wiki/Jacob_Jordaens |
Medizinische Rehabilitation, nicht mehr banal Kur genannt, in Bad Nauheim in 2016.
Und das Beste dabei: alles auf Kosten von Krankenkasse oder Rentenversicherung.
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