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Essen ist zum Essen da?!

Gerade ist in unseren Medien die zyklisch unumgängliche Attila-Hildmann-vegan-Welle etwas abgeflaut - und ich schaue wieder entspannter in die Zeitungen.

1949, im Schlepptau des "Krieges" in OstDeutschland geboren, erinnere ich mich noch an tatsächlich "schlechte Zeiten".


Von Bundesarchiv, Bild 183-61120-0001 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=5356666

Lebensmittel waren rationiert, wie aus der Lebensmittelkarte aus 1958 ersichtlich, vor allem für die Qualitäten "Fleisch", "Fett" und "Zucker". Man ging mit dieser Karte in ein Lebensmittelgeschäft, und abhängig von der Bestellung wurden die Bons abgeschnitten. Also, etwa ein "Braten" zum Wochenende für die Familie mit 600 g, schon war die Hälfte der Fleischration für den Monat weg.
Am Wochenende schnell mal grillen, 10 Steaks, 10 Bratwürste, 5 Grillkäse, und Diverses - schlichtweg unmöglich. 
Oder, man besorgte sich die Dinge zu gepfeffertsten Preisen aus speziellen Läden bzw. auf dem Schwarzmarkt, dort war es noch teuerer und für die Meisten schlichtweg unerschwinglich. Es sei denn, es gab noch in irgend einem Schubkasten zu Hause Dinge für Tauschgeschäfte, Reste vom Familiensilber, Goldschmuck, Kunstgegenstände, überzählige Bettwäsche, wertvolles Porzellan, am besten aus Meißen usw.

Dann war selbst der ausgehungerte deutsche Bauer uneigennützig bereit zu tauschen, Familiensilber gegen eine kleine Tüte Kartoffeln etwa. Das Problem, Familiensilber läßt sich nicht essen.

Wir hatten weder Familiensilber noch andere Kostbarkeiten, die Verdienste waren minimal, also blieben uns die "Essenmarken" - und was heute völlig unverständlich ist, niemand von uns ist verhungert. Allerdings, alle waren schlank, selbst ohne Fitnessstudio. 

Mehl und Zucker etwa gab es lange als "lose Ware". Der Händler hatte im Geschäft Schubkästen und aus denen füllte er beispielsweise 250 Gramm Zucker mit einem Schäufelchen in eine Papiertüte, faltete diese zu und schob sie über den Verkaufstisch. Die Tüten wurden zu Hause, so es ging weiterverwendet, etwa für das Pausenbrot in der Grundschule. Butter war ebenfalls "lose" zu bekommen. Im Laden stand auf einem Tisch ein Butterblock, daneben lag ein Messer und damit wurde die gewünschte Menge "Fettigkeit" vom Block abgeschnitten, in sogenanntes Pergamentpapier eingeschlagen und ging über den Tisch.  

Bonbons lagen unverpackt in Bonbongläsern, für uns ein bestaunenswertes Medium. Sie wurden auch stückweise abgegeben, genau wie Zigaretten. Die waren einzeln zu kaufen. Zahnbürsten waren nicht doppelt in Plastik verpackt, sondern standen in einem Glas auf dem Tresen. Jeder konnte sie anfassen, die Festigkeit der Borsten prüfen und kaufte dann oder eben auch nicht.

Thema Zigaretten, die Raucher qualmten alles, was sich irgendwie in Rauch verwandeln ließ, da es "Rauchwaren", damals waren nicht Pelze gemeint, auch nur auf Bezugsscheine oder "Raucherkarten" gab. Ich kann mich erinnern, dass es in meiner Heimatstadt ein Geschäft mit leeren Schaufenstern gab, über dessen Tür in altdeutscher Schrift die Bezeichnung "Rauchwaren" prangte. Die Schaufenster waren lange leer und für uns Kinder war es ausgemachte Sache, dort gab es Tabak, Zigaretten und andere sündige Dinge, die für Kinderaugen nicht gesund waren, deshalb auch die leeren Schaufenster. 
Wer nicht rauchte hatte eine kleine Ersatzwährung, denn "Rauchermarken" waren ein ausgesprochen begehrtes Tauschobjekt - wiederum gegen Lebensmittelmarken.

Nun bedeutete selbst der Besitz von Lebensmittelmarken nicht automatisch, dass man jederzeit alles kaufen konnte. Es gab immer nur das, was im jeweiligen Geschäft gerade vorrangig war. Hatte man noch Buttermarken und das Geschäft hatte gerade keine Butter mehr, gab es schlichtweg keine Butter. Dann gab es statt Butterbrot eben Margarine, wiederum - soweit vorrätig. Und wenn es keine Margarine gab, gab es vielleicht noch Schweinefett im Schrank und wenn gar nichts mehr ging ein "nasses Zuckerbrot", eine Scheibe - meist hartes- Schwarzbrot in Malzkaffee eingeweicht und mit Zucker betreut. 

Vielfach war es nicht möglich ins "nächste Geschäft" zu gehen. Zum einen waren Geschäfte nicht überall dicht gesät und zum anderen mußte man sich in einem Lebensmittelgeschäft "registrieren" lassen und konnte bestimmte, rationierte  Dinge dann eben nur dort einkaufen. 

Viele Menschen gingen zu partieller Selbstversorgung über. Kaum jemand wäre es eingefallen im städtischen Vorgarten nicht Gemüse anzubauen, hinter den Häusern wurde jedes verfügbare Stückchen Land zum Eigenanbau genutzt. Kleingärten hatten Hochkonjunktur, Streuobstwiesen und Obstbäume an den Straßen wurden von den Gemeinden vermietet, man konnte sich bewerben und - sofern man Glück hatte und den Zuschlag erhielt - das Obst ernten.

Wer das Glück des Besitzes eines größeren Stück Landes hatte das ganz große Los gezogen. Neben Gemüse, Kartoffeln, nicht selten auch Rüben, wurde oft Tabak angebaut und - siehe oben. Da störte es auch nicht, dass der eigene Tabak meist ein gar scheußlich Zeug war, welches man möglichst selbst nicht rauchte. Viel besser war es das "Kraut" dem Handel anzubieten und sich mit dem Gewinn dann "richtigen" Tabak oder eben andere rationierte Dinge auf dem freien Markt zu kaufen.

Ach so, als Kinder war es für uns nicht unüblich, statt nicht vorhandener Süßigkeiten etwa frisches Sauerkraut zu essen. Wir gingen dazu in unserem Dorf in den Kolonialwarenladen, dort gab es all die bisher aufgezählten Dinge - und noch viel mehr. Oft lungerten wir dort nur herum, in der Hoffnung irgendwie irgendetwas abzubekommen, was selten genug passierte. 

Es sei denn, Lehrer Hermann tauchte dort auf. Lehrer Hermann, vor der Gezeitenwende 1945 dafür bekannt im wahrsten Sinn des Wortes über Tisch und Bänke zu gehen und den Rohrstock statt seiner sprechen zu lassen, Lehrer Hermann hatte nach dem "unseligen Kriegsende" plötzlich sein Herz für Kinder entdeckt und spendierte uns immer mal im Kolonialwarenladen Sinnowitz ein Himbeerbonbon. Da störte es uns auch nicht die Bohne, dass er wegen "brauner Vergangenheit" nicht mehr als Lehrer in unserer Grundschule lehren durfte.
Übrigens, niemand von uns kam auf die Idee diesen Zuckerfrevel anzuzeigen oder zumindest unmittelbar danach die Zähne zu putzen.

Zurück zum Sauerkraut, Sauerkraut gab es in großen 100 oder 200 Liter Fässern aus Holz. Das als Rohware notwendige Weißkraut war im Herbst zuvor geschnitten, in die Fässer geschichtet und mit den blanken Füßen eingestampft worden. Dann überließ man die Fässer der Natur und dem unauffälligen Wirken der Milchsäurebakterien, bis wir Kinder für einen Groschen Sauerkraut wollten. Der Kolonialwarenhänler Sinnowitz hatte zu diesem Behufe einen Stapel alter Zeitungen auf seinem Tisch, riß ein Stück ab, formte daraus eine spitze Tüte und warf eine Handvoll Sauerkraut hinein, eine pure Köstlichkeit,

Was hat das alles mit heutiger Ernährungswissenschaft - oder meist Pseudowissenschaft a la Hildmann zu tun? 

Die Antwort lautet: Nichts, aber auch rein gar nichts.

Das Interessante, die Menschen die damals nur diese eine einzige Form der Ernährung zur Verfügung hatten, sind heute in der Altersgruppe > 60 bis gegen 100.

So schlecht kann es also nicht gewesen sein. 

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