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Deutschland reist

Deutschland reist gern, viel und lange. 

Menschen auf dem Nordkap
Zwischen ‘Grünem Punkt’, Bioprodukte-Wahn, Kissen mit biologisch einwandfreien Kirschkernen, Elektroautos, Energiewende, Kleidung aus biologisch unbedenklichen Naturstoffen, Biodiesel und Grünem Strom  braucht der gemeine Deutsche ab und zu auch einmal einige Tage schlicht und einfach Normalität.


Aus diesem Grund bekommt er von seinem Arbeitgeber Urlaub und verreist. Um sicher zu gehen, dass er keiner Biotonne begegnet, fährt er weit weg, ins Ausland.


Rentner haben dagegen immer Urlaub, sie brauchen wohl die Distanz von sich selbst. Das Bioprodukte sich bei 80Jährigen noch positiv auf die Lebenserwartung auswirken hat man nicht gehört, obwohl für Jüngere ist es auch nicht bewiesen, es ist aber gut fürs Ego. 


Deutschland reist nicht allein, viele Nationalitäten begleiten und bedienen uns. Einmal im Jahr lassen wir die Sau so richtig raus und scheissen auf diesen ganzen Biokram. Hier im Ausland kennt uns niemand persönlich, zu Hause an der nicht akurat getrennten Mülltonne schon, da sind wir dann später wieder gute BiotonnenBürger.

Auch wir gönnen uns unsere jährliche Freiheitsphase, diesmal nach Norwegen, per Schiff.

Unsere erste Fahrt mit einem UrlaubsLiner, ein europäisches Schiff, zugelassen in Panama, das drückt die Kosten, purer Luxus für eine kleine Schar von Menschen, die sich dies leisten (wollen/können).  

Beim Einchecken beschleicht mich ein wohliges Gefühl von ‘Gutsein’ als sich die Frage in mein Gehirn drängt, ob man dies überhaupt darf, wenn an vielen anderen Stellen dieser Welt Menschen hungern, verhungern, Kriege sind, Bomben fallen, der Tod nahezu überall lauert. 

Andererseits habe ich vergessen beim Reisebüro nachzufragen, einen wie hohen Anteil an Biodiesel das Schiff täglich im Tonnenmaßstab durch seine hohen Schornsteine jagt, wie die Feinstaubbilanz ist und ob die täglich gewechselten 5 Handtücher tatsächlich mit biologisch abbaubaren Waschmitteln bearbeitet werden. 

Ich klopfe mir gedanklich auf die Schultern, daran noch gedacht zu haben,  jetzt genau kann ich es sowieso nicht mehr ändern, also Augen zu und durch. 

Ein bißchen beruhigend ist es daran zu denken, dass auf dem Schiff Hunderte von Menschen, überwiegend aus der Dritten Welt für ein paar Reisende rund um die Uhr arbeiten können und damit den Unterhalt für sich selbst und ihre Familien zu Hause in Indonesien, auf den Philippinen, irgendwo in Afrika oder in Südamerika bestreiten.

Später werden wir merken, wie diese Menschen schuften müssen, ausgebeutet werden, von der Reederei, von ihren Vermittlern, zum Teil selbst von den Regierungen ihrer Heimatländer, von uns. Die philippinischen Angestellten etwa müssen einen Teil ihrer Einkünfte an den philippinischen Staat abführen, der seine Menschen wie Leiharbeiter vermittelt und daran offenbar sehr gut verdient. Menschen als Arbeitsware.

In unserer Kabine finde ich eine Broschüre vor: ‘Get on Board for Children’, in der die Reederei um Spenden für die Ernährung mangelernährter Kinder in der Dritten Welt wirbt. Wenn man dann etwa abends sein 5-Gänge-Menü reingeschaufelt hat, wiederum von vorn und hinten von den dienstbaren Geistern der Dritten Welt bedient, lässt es sich schicklich mit vollem Bauch darüber nachdenken, ob man mit gutem Herzen einen Euro spendet. Davon können laut Werbebroschüre “drei Packungen therapeutische Fertignahrung gekauft werden”. Trösten kann ich mich damit, dass diese Spende wahrscheinlich nicht an die Kinder der Schiffsangestellten gehen wird, denen bleibt ja ein bisschen Geld, weil sie mich bedienen dürfen.

Übrigens: Während der Fahrt gab es keinerlei sichtbar als bio- oder vegan ausgewiesene Lebensmittel. Das Bier aus Plasteflaschen, das Obst ohne Bio-Siegel. Lediglich einmal mußte das Schiff wegen eines medizinischen Notfalls außer der Reihe anhalten.

Deutschland reist, mit gutem Gewissen.

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