Direkt zum Hauptbereich

Die kleinen Männchen oder die Kehrseite der Medaille




In meiner Kindheit waren wir mit der Welt über das Radio verbunden, große Holzkästen mit Röhren bestückt und einem mehr oder weniger guten Klang.

Radios waren faszinierend, vorn leuchtete eine Birne hinter einer Glasscheibe auf der die Namen aller möglichen Sender, damals gleich Städte aufgeschrieben waren. Besonders spannend fand ich die Aufschrift Hilversum, denn einerseits wußte ich nicht, wo Hilversum liegt und andererseits kam, wenn ich diesen Sender einstellte, nie ein Ton, kein Empfang unter Hilversum.

Dann gab es vorn das sogenannte Magische Auge, von dem ich bis heute nicht weiss, wozu es gut war, aber als Kind war es interessant, da sich dort immerzu etwas veränderte. 

Und die Töne, die Töne waren spannend.

In der Regel gab es drei Arten von Tönen: 

1. Die Nachrichten, meist alle Stunden, oft mit einem Signal angekündigt und mit salbungsvoller Stimme vorgetragen.
2. Hörspiele, die mich als Kind immer besonders interessierten, weil spannend.
3. Dazwischen stundenlang klassische Musik, vorgetragen meist von irgendwelchen Rundfunk-Sinfonieorchestern.  


Was mich geradezu quälte war die Frage: Wo ist der Nachrichtensprecher, wer spricht die Hörspiele und vor allem, wo genau sitzt hinten das Rundfunk-Sinfonieorchester, wenn ich vorn die Musik höre?




Von vorn konnte ich nicht ausmachen woher die Töne kamen, also blieb nur die Rückseite.

Die Kästen waren groß und schwer, sodass es für einen kleinen Jungen schon Mühe machte an die Rückseite zu kommen. In der Regel nutzte ich zum Forschen die Stunden, in denen meine Eltern nicht zu Hause waren. Dann warf ich das Radio an, was meist einige Minuten dauerte bis die Röhren warm waren und die ersten Töne kamen, rückte das Radio von der Wand weg um die Rückseite zu untersuchen. 

Auf der Rückseite waren viele kleine Löcher, ähnlich eines Schweizer Käses, nur viel regelmäßiger. Die mußten, außer dass sie immer voll Staub waren, eine Bedeutung haben.


Heute weiss ich, dass die Löcher zur Kühlung da waren, damals dachte ich, dass sie in die Pappwand gebohrt würden, damit die vielen kleinen Männchen, die ich im Radio vermutete, Luft holen konnten und von meiner Mutter ihr Essen bekamen.

Mein Bild war ganz einfach: Irgendwo im Inneren müssen die vielen kleinen Männchen doch sitzen, die die Nachrichten verlesen, die Hörspiele sprechen und vor allem in den Rundfunk-Sinfonieorchestern mit ihren kleinen Instrumenten Musik machen. 

Ich denke, stundenlang habe ich durch die Löcher geäugt, nie habe ich auch nur ein einziges dieser kleinen Männchen zu Gesicht bekommen und trotzdem kamen Töne und sie haben wohl ein ganzes Stück meines Lebens geprägt.  

Aber auch die Kehrseite der Medaille brachte mir keine Erleuchtung. 

Dies ist wie heute, viele Dinge drehe ich in meinem Leben stunden-, tage-, wochenlang hin und her, beäuge sie ohne dass mir auch nur ansatzweise eine Erleuchtung kommt. Ich finde nach wie vor die kleinen Männchen nicht!

                                 

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Obama und der Terrorismus

Der Anschlag der beiden tschetschenischen Brüder auf die Besucher des Boston-Marathon 2013 ist nach Angaben der US-Sicherheitsbehörden aufgeklärt, einer ist getötet, der andere offenbar in Polizeigewahrsam. Was mag in solchen Köpfen vorgehen, die mit zu Bomben umgebauten Schnellkochtöpfen gegen in der Tat unschuldige Menschen vorgehen, dabei Verletzungen, lebenslange Behinderungen, den Tod, aber auch die Traumatisierung dieser Unschuldigen in Kauf nehmen. Wenn ich mir vorstelle, etwa bei einem Fussballspiel im Stadion von einer Bombe zerrissen zu werden oder dies nur mit ansehen zu müssen, ich finde keine Worte dafür. Deswegen ist es unumgänglich, dass solche Dinge mit aller Konsequenz verfolgt und bestraft werden müssen, auch wenn ich das Medienspektakel um die Verfolgung schon wieder abstoßend fand ... in deutschen Online-Zeitungen etwa als "Menschenjagd im Liveticker" Auf der einen Seite steht der Voyeurismus der Menschen, die vom heimischen Sofa aus teilhaben wollen a...

Eine Frohnatur

Als ich heute morgen aufstand, war es kühl nur so um die 10 Grad, aber  sehr angenehm nach den tropischen Temperaturen der letzten Monate. Mein sehr belastender Dauerhusten ist nicht so drängend wie sonst, ich will mich gerade anfangen zu freuen, aber: hätte ich nur achgut.com da gelassen, wo es hingehört, nämlich im Netz. Aber nein, ich muss die Seite öffnen und wer springt mir entgegen, eine Karikatur von Stefan Klinkigt mit dem Gesicht einer Frohnatur. https://www.achgut.com/artikel/warum_wollen_so_viele_gruen_waehlen Und warum auch immer, meine Stimmung ist für die nächsten 2 Stunden im A...h, obwohl ich den Beitrag noch gar nicht gelesen habe. Wenn ich jetzt sage, "danke Stefan", weiß ich nicht, ob ich es freudig oder sarkastisch betonen soll. Nun ja, vielleicht wird die Betonung im Laufe des Tages freudiger, weil: die Sonne scheint, der Rasen zeigt wieder einen leicht grünen Flaum und mein Husten ist nicht ganz so drängend wie sonst. Das können mir selbst...

Der fast Kahle von Kampehl

Es gibt so Dinge, die schleppe ich gedanklich schon sehr viele Jahre mit mir herum.   So auch die Ortsbezeichung „Kyritz an der Knatter“. Als Kinder wollten wir uns halbtot lachen, “Kyritz an der Knatter“. Heute werden wohl nicht mehr allzuviele Kinder die Ortsbezeichnung schon einmal gehört haben, sie kennen eher Malle, die Azoren, Domrep oder die Malediven. Und die Kinder, die das nicht kennen, sagen es nicht und tun so, als wären auch sie dort mehrfach jährlich zu Hause. Die Urlaubsgestaltung hat im Lauf meines Lebens eine erstaunliche Wendung genommen. In meiner Kindheit spielte Urlaub überhaupt keine Rolle. Meine Eltern hatten sehr wenig Kohle, meine Mutter war nur selten weg, als Näherin erledigte sie ihre Arbeit zu Hause. Die einzigen größeren Ausflüge des Jahres fanden an den Tagen statt, an denen sie ihre fertige Arbeit lieferte. Sie fuhr dann mit mir in die Stadt, mit dem Bus, ein Auto gab es nicht. Über dem Arm hatte sie die in ein Bettlaken eingeschlage...