Direkt zum Hauptbereich

Honig im Kopf ... oder der aufbewahrte Stacheldraht.

Da sage noch jemand, in diesem, unseren Land sei nichts mehr los und die Immigranten wären das einzig relevante Thema.

Dabei kann selbst banales Einkaufen heute zum gesellschaftlichen déjà vu werden. 

Noch in Thüringen, wenige hundert Meter von der alten Grenze entfernt wohnend, spielt sich ein Teil unseres sozialen Lebens auch im Hessischen ab.


Ein Schild an der Straße zum hessischen Nachbarort zeugt davon, dass Deutschland und Europa genau hier an dieser Stelle bis zum 25. November 1989 um 8.00 Uhr geteilt waren.

So weit, so gut. Auffällig sind dabei mehrere Einschusslöcher in der großen Tafel, wobei nicht erkennbar ist, ob es sich um die späte Rache früherer DDR-Grenzer handelt, die möglicherweise mit Abriss des Zauns arbeitslos geworden waren. Vielleicht waren es aber auch erfolglose Jäger, die hier ihre letzte Munition verballert haben.

Reste des Zaunes gibt es ebenfalls noch, neben dem Schild, hübsch aufgerollt wie eine Pyramide liegt Stacheldraht getragen von aufgeschichteten alten Betongrenzpfählen.



Während das Schild durch die Einschusslöcher etwas beschädigt ist, sieht der vom Grenzzaun abmontierte Stacheldraht auch nach mehr als 28 Jahren wie neu aus. Er hätte also noch viele Jahre am Zaun "gute Dienste" leisten können, dass er inzwischen von der Natur fast überwachsen ist, tut der Sache keinen Abbruch.

Ein kleiner Einkauf im Hessischen. Die Verkäuferin, ausnahmsweise zumindest der Sprache nach eine Hessin, ist gutgelaunt, ich bin der einzige Kunde im Geschäft, man kennt sich nach den vielen Jahren und plaudert etwas "über nichts".

Wir kommen kurz auf Familiäres zu sprechen, zufälligerweise haben ihr Sohn und unsere jüngste Tochter in den letzten Tagen fast zeitgleich ihre jeweiligen Partner geheiratet. Die Feier wird zum Thema, die Hessen haben in Hessen und wir Thüringer haben in Thüringen, in Eisenach, gefeiert.

Einige Floskeln hin und her und dann eine Frage im breiten Hessisch, die mir schier die Sprache verschlägt:

"Wie ist das jetzt eigentlich bei Euch dort drüben, ist das immer noch alles so heruntergekommen?" Ich zucke mit den Schultern, "ich finde nicht, im Gegenteil finde ich es bei uns", - ich sage betont bei uns - "moderner als hier bei Euch." 

Es überzeugt sie nicht, "Ich war schon mindestens 10 Jahre nicht mehr drüben, was soll ich da? Wir sind die ganzen Jahre gut ohne Euch ausgekommen."

Nun ja, auf der Rückfahrt knapp 2 Kilometer weiter wieder das Schild - es ist zum Glück von beiden Seiten lesbar, die Einschusslöcher zeigen übrigens von West nach Ost, und der gelagerte, gut erhaltene Stacheldraht. 

Manchmal beschleicht mich das Gefühl, dass er zumindest in den Köpfen der Menschen durchaus noch einmal gebraucht werden könnte. Verrostet zumindest ist er noch nicht.

  

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Obama und der Terrorismus

Der Anschlag der beiden tschetschenischen Brüder auf die Besucher des Boston-Marathon 2013 ist nach Angaben der US-Sicherheitsbehörden aufgeklärt, einer ist getötet, der andere offenbar in Polizeigewahrsam. Was mag in solchen Köpfen vorgehen, die mit zu Bomben umgebauten Schnellkochtöpfen gegen in der Tat unschuldige Menschen vorgehen, dabei Verletzungen, lebenslange Behinderungen, den Tod, aber auch die Traumatisierung dieser Unschuldigen in Kauf nehmen. Wenn ich mir vorstelle, etwa bei einem Fussballspiel im Stadion von einer Bombe zerrissen zu werden oder dies nur mit ansehen zu müssen, ich finde keine Worte dafür. Deswegen ist es unumgänglich, dass solche Dinge mit aller Konsequenz verfolgt und bestraft werden müssen, auch wenn ich das Medienspektakel um die Verfolgung schon wieder abstoßend fand ... in deutschen Online-Zeitungen etwa als "Menschenjagd im Liveticker" Auf der einen Seite steht der Voyeurismus der Menschen, die vom heimischen Sofa aus teilhaben wollen a...

Eine Frohnatur

Als ich heute morgen aufstand, war es kühl nur so um die 10 Grad, aber  sehr angenehm nach den tropischen Temperaturen der letzten Monate. Mein sehr belastender Dauerhusten ist nicht so drängend wie sonst, ich will mich gerade anfangen zu freuen, aber: hätte ich nur achgut.com da gelassen, wo es hingehört, nämlich im Netz. Aber nein, ich muss die Seite öffnen und wer springt mir entgegen, eine Karikatur von Stefan Klinkigt mit dem Gesicht einer Frohnatur. https://www.achgut.com/artikel/warum_wollen_so_viele_gruen_waehlen Und warum auch immer, meine Stimmung ist für die nächsten 2 Stunden im A...h, obwohl ich den Beitrag noch gar nicht gelesen habe. Wenn ich jetzt sage, "danke Stefan", weiß ich nicht, ob ich es freudig oder sarkastisch betonen soll. Nun ja, vielleicht wird die Betonung im Laufe des Tages freudiger, weil: die Sonne scheint, der Rasen zeigt wieder einen leicht grünen Flaum und mein Husten ist nicht ganz so drängend wie sonst. Das können mir selbst...

Der fast Kahle von Kampehl

Es gibt so Dinge, die schleppe ich gedanklich schon sehr viele Jahre mit mir herum.   So auch die Ortsbezeichung „Kyritz an der Knatter“. Als Kinder wollten wir uns halbtot lachen, “Kyritz an der Knatter“. Heute werden wohl nicht mehr allzuviele Kinder die Ortsbezeichnung schon einmal gehört haben, sie kennen eher Malle, die Azoren, Domrep oder die Malediven. Und die Kinder, die das nicht kennen, sagen es nicht und tun so, als wären auch sie dort mehrfach jährlich zu Hause. Die Urlaubsgestaltung hat im Lauf meines Lebens eine erstaunliche Wendung genommen. In meiner Kindheit spielte Urlaub überhaupt keine Rolle. Meine Eltern hatten sehr wenig Kohle, meine Mutter war nur selten weg, als Näherin erledigte sie ihre Arbeit zu Hause. Die einzigen größeren Ausflüge des Jahres fanden an den Tagen statt, an denen sie ihre fertige Arbeit lieferte. Sie fuhr dann mit mir in die Stadt, mit dem Bus, ein Auto gab es nicht. Über dem Arm hatte sie die in ein Bettlaken eingeschlage...