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Das geht aber gar nicht!

Während sich der eingeborene Rheinsberger fragt, warum Fremde dort Urlaub machen, sucht der Urlauber im Städtchen bereits nach einer Begründung, warum gerade er dort Urlaub macht, nicht selten vergebens.

Und wahrlich, das Städtchen an sich ist so reizlos, dass es gegen das beschauliche und sympathische Umfeld kaum punkten kann.

Die gesamte Innenstadt ist pro forma mit Parkgebühren belegt, allerdings sind 30 Minuten kostenfrei, viel mehr braucht man typischerweise kaum, sodass die Einnahmen der Stadt eher moderat sein dürften. Zumindest sah ich keinen Parkenden, der Geld an den Parkscheinautomaten verschwendete. Selbst wenn man länger als 30 Minuten in der Stadt unterwegs ist, braucht es von fast jedem Punkt nicht mehr als 5 Minuten zu Fuß um einen neuen Freischein zu ziehen. 

Das Rheinsberger Schloss, die Laurentius-Kirche und der Ratskeller sind zu erwähnen. Der Ratskeller allerdings nur, weil schon Theodor Fontane selig vorgab, bei seinen Wanderungen dort eingekehrt zu sein. Die Laurentiuskirche thront als gelber Klotz aus unterschiedlichen Stilrichtungen in der Mitte der Stadt auf dem Kirchplatz. Schön ist sie nicht.


Eingang zur Laurentius-Kirche.

Am Kirchplatz findet sich das Cafè Claire und ich werde das Gefühl nicht los, dass die wenigsten der dort Einkehrenden wissen, dass der Name 'Claire' auf Kurt Tucholsky zurück geht. Der nämlich nahm eine literarische Aufwertung des Städtchens vor, als er mit seiner Erzählung "Rheinsberg. Ein Bilderbuch für Verliebte" in 1912 die Bühne der Öffentlichkeit betrat.

Der geneigte Leser weiß, dass er Claire und Wolfgang in Rheinsberg Station nehmen und allerlei Dummheiten anstellen ließ. Und besagte Claire ist auch heute noch die Namensgeberin des Cafè am Kirchplatz. 

Ein Sommertag mit angenehmen Temperaturen, einige Tische draußen, da sonst recht wenig zum Verweilen einlädt, verweilt man eben bei 'Claire'.

Eine freundliche, flotte Bedienung, ein doppelter Espresso, ein Stück Kuchen, ein Glas Mineralwasser, man soll ja viel trinken. 

Die meisten Tische sind durch Menschen im fortgeschrittenen Alter besetzt, die mehr oder weniger lust- und wortlos ihren Kuchen oder eine dicke Portion Eis mit Sahne in sich hineinlöffeln. Die Größe der Portionen korreliert in der Regel mit der Leibesfülle. Ab und zu knurrt man sich gegenseitig an, ansonsten verläuft die Konversation, wie in Jahrzehnten trainiert, schweigend. 

Es lockert den Altersdurchschnitt etwas auf, als 2 junge Leute Platz suchen, beide so gegen Ende 20, sehr gut und wertig gekleidet. Sie in einem kleinen Schwarzen, ein Lederimitat, er salopp und teuer. Ein Kind haben sie nicht dabei, wohl aber einen dicken schwarzen Mops, der mit dem schwarzen Kleid problemlos korrespondiert.

Sie setzen sich mit beleidigter Miene und dem Rücken zum Pöbel, er klappt sofort sein MacBook Air auf und geht auf Facebook, sie müht sich ungeschickt mit einer Landkarte ab. 



Selbst die Frage der freundlichen Kellnerin nach ihren Wünschen kann sie nicht aufheitern, der Mann tippt wortlos weiter, der Frau dürstet nach Sojamilch. Ja, sie bestellt tatsächlich ein Glas Sojamilch.

"Die ist uns leider ausgegangen, was darf ich ihnen noch bringen?" Ein Stirnrunzeln, "Und laktosefreie Milch?" Fast kein mitteleuropäischer Mensch braucht tatsächlich laktosefreie Milch. "Die ist da", die Kellnerin scheint erleichtert. Wie ein Peitschenhieb, "Ist die auch bio?" "Das weiß ich jetzt nicht, da muss ich nachsehen." In diesem Moment wird auch der facebookende Mann mit dem Problem konfrontiert, sie stößt ihn an und bemerkt, um seine Zustimmung heischend, "Das geht aber gar nicht." Er reagiert vernünftig, nämlich überhaupt nicht, sie scheint es nicht zu merken. 

Sie ordert dazu zwei Kaffee. "Auch ein Stück Kuchen?" "Um Himmelswillen, nein".

Nach wenigen Minuten bringt eine männliche Bedienung die Bestellung, zwei Kaffee, ein Glas Milch. "Ist die auch bio?" Er zuckt mit den Schultern, "Das weiß ich nicht, das hätten sie bei der Bestellung sagen müssen."

Der schwarze Mops liegt ruhig unter dem Tisch, das kleine Schwarze zuckt wortlos vor Empörung, der Mann macht weiter social media auf seinem MacBook Air.

Nein, das geht aber gar nicht. 

Und so wird selbst ein Aufenthalt auf dem schmucklosen Kirchplatz in Rheinsberg zu einem Erlebnis.




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